Content Note

Erfahrungsbericht, Chicken Camp, Animal Training Center (ATC), Österreich, Tiertraining, positive Bestärkung, Assistenzhund


Vorher

Meine Anmeldung zum Chicken Camp habe ich bereits Ende 2021 getätigt, in der Hoffnung, dass es die Pandemie-Bedingungen zulassen werden. Die Sorge war natürlich groß, dass ich nicht nach Österreich reisen kann, dass ich ohne Mund-Nasen-Schutz (MNS) nicht in der Pension übernachten oder gar nicht am Chicken Camp teilnehmen darf.

Etwa einen Monat vor dem Termin schrieb ich eine E-Mail an das Animal Training Center (ATC) und fragte nach den aktuellen Bedingungen und Regelungen in Österreich. Da zu diesem Zeitpunkt genau wie in Deutschland einige Lockerungen vorgenommen wurden, standen die Chancen nicht schlecht, was mich beruhigte.

Je näher der Termin kam, desto stärker wurden natürlich die Angst und auch die Zweifel. Mein Hirn war mal wieder in voller Fahrt.

"Du darfst eh nicht hin. Deine Anmeldung hat nicht geklappt. Die wollen dich dort gar nicht. Die haben dich vergessen. Du nervst, wenn du eine E-Mail dort hin schreibst. Du schaffst das sowieso nie und nimmer, dieses Huhn anzufassen, geschweige denn, ihm etwas beizubringen.Auf welche Toilette soll ich an der Raststätte gehen? Ich gehöre auf keine davon! Ich habe bestimmt das mit der Vignette völlig falsch gemacht und bekomme Ärger. "

Dienstags kam dann die Info-Mail vom ATC mit Details zum Ablauf. Okay, im E-Mail Verteiler bin ich also schon mal. Vielleicht darf ich ja doch kommen und werde nicht gleich postwendend wieder nach Hause geschickt.

Hinfahrt & Ankunft

Die Hinfahrt war lang, knapp 700km. Wir hatten zum Glück nur einmal kurz Stau bzw. stockenden Verkehr (ca. 20 – 25 Minuten), Grund unbekannt.

Anstrengend war’s trotzdem. Stims unterdrücken. Maskieren. Ich war ja nicht allein. Einige Pausen gemacht. Hund gelüftet, Beine vertreten. Ich war auch mutig und bin pinkeln gegangen. Zum Glück hat mich keiner doof angemacht.

In der Unterkunft angekommen lief auch alles glatt. Ich durfte rein, das Personal war nett und das Zimmer schön. Es gab sogar ein Sofa, welches Yoshi gleich für sich beansprucht hat. Das Bett hat er aber natürlich auch getestet.

Das Frühstücksbuffet war inklusive und auch sehr lecker.

Warum Chicken Camp?

Ich wurde oft gefragt, wieso ich zum Chicken Camp fahre, wieso ich dort mit Hühnern trainieren werde und was das alles mit dem Assistenzhund zu tun hat, deshalb hier eine kurze Erklärung:

Das Chicken Camp ist dazu da, um den Teilnehmer*innen Tiertraining mit positiver Bestärkung näher zu bringen. Es richtet sich an alle Menschen, die gern mit Tieren arbeiten und zusammen sind, egal ob Trainer*in oder Tierbesitzer*in. Es ist außerdem die Voraussetzung für Assistenzhunde-Anwärter*innen. Training ohne Druck, Zwang und Bestrafung steht im Vordergrund und wird mit viel Spaß geübt.
Hühner sind sehr intelligente Tiere, die schnell lernen und entsprechend exakt Rückmeldung geben. So sieht man rasch die eigenen Stärken und Schwächen und verbessert auch das Timing. Zudem lernt man viel über die Lerntheorie und das Lernverhalten von Tieren.

Nicht nur im Training und dem Zusammenleben mit dem Assistenzhund wird viel Wert auf eine positive, gewaltfreie Arbeit gelegt, sondern es wird auch explizit bei der Teamprüfung geschaut, welche Trainingsmethoden verwendet werden. Zwang, Druck und Gewalt werden nicht geduldet und führen zum Ausschluss.

Unsere Trainingspartnerinnen für die beiden Tage waren 18 Wochen alte Hennen, die vorher noch kein Training kannten. Sie wussten nur, dass der Kontakt mit dem Menschen nicht schlimm ist und ließen sich anfassen, kannten aber weder Clicker noch Tricks.

Chicken Camp 1 – Tiertraining mittels positiver Bestärkung

Freitag morgen war es dann so weit: Chicken Camp. Nach einen Corona-Selbsttest (negativ), dem Frühstück und einem Spaziergang mit Yoshi wurde ich ins Camp gefahren. Anxiety deluxe.

Die Angst war aber wirklich unnötig. Ich wurde sehr nett von der Hundetrainerin, die für die Assistenzhunde zuständig ist, empfangen. Ich durfte in den Raum und mir in Ruhe einen Platz aussuchen. Mir wurde gesagt, welche Plätze erfahrungsgemäß die ruhigsten sind, wo viel Durchgangsverkehr herrscht und wie man zu allen Seiten raus kommt. Rausgehen war auch zu jeder Zeit erlaubt. Für die Pausen wurden einige Orte genannt, an denen es ruhiger ist und wo man sich zurückziehen kann.
Bei der Vorstellung durfte man sagen, dass man z.B. Abstand braucht und Annäherungen von hinten vermieden werden sollten. Es wurde viel Rücksicht auf die persönlichen Bedürfnisse genommen. Ich habe mich noch nie so gut abgeholt gefühlt. Meistens nerven meine Bedürfnisse die Menschen nur oder sie werden ignoriert, nicht Ernst genommen und übergangen. (Später im Seminar gab es auch vor einer Folie, die etwas für manche Menschen potentiell triggerndes zeigte, eine Triggerwarnung.)

Am Platz gab es für jede*n Teilnehmer*in einen Seminarbeutel, in dem sich nicht nur die Seminarunterlagen, sondern auch 2 Stifte, ein Clicker, Futterproben und Kauartikel für den Hund und ein Snack für den Menschen befanden.

Das Seminar selbst begann mit einer Vorstellungsrunde, die aber freiwillig war. Wer sich bei dem Gedanken vor der ganzen Gruppe zu sprechen, nicht wohl fühlte, musste es auch nicht tun.

Die Teilnehmer*innen bestanden aus einigen Hunde- und Tiertrainer*innen, Haustierbesitzer*innen und außer mir noch 2 weiteren Assistenzhunde-Anwärter*innen.


Nach der Vorstellung ging es los mit Theorie und Informationen zur Trainingspartnerin Huhn.

Das Trainingskonzept der positiven Bestärkung gilt hier übrigens nicht nur für Tiere, sondern auch für das Miteinander. Fehler sind nicht schlimm, sondern gehören zum Lernprozess dazu. Keiner war genervt, wenn Fragen kamen oder Dinge nicht gleich verstanden wurden. Auch Angst vor Hühnern wurde nicht belächelt. Jeder wurde dort abgeholt, wo er stand.

Zudem gab es „Belohnungskarten“. Jeder Tisch, sowie das Team, hatte Spielkarten, die verdeckt auf den Tischen lagen. Diese durften an andere Teilnehmer*innen verteilt werden. Karten gab’s für Fragen, Anmerkungen, Antworten, lustige Sachen, Mut, gegenseitige Hilfe, uvm.
Am Ende des Tages wurden die Karten aufgedeckt und der Kartenwert zusammen gezählt. Für den/die Gewinner*in gab’s einen kleinen Preis.

Bei der ersten Praxiseinheit wurde zuerst das Handling der Hühner gezeigt und geübt. Wie halte ich mein Huhn, so dass es sich sicher fühlt? Worauf ist zu achten? Wo steht Wasser, um die Näpfe der Hühner nachzufüllen? Jeder durfte einmal probieren, ein Huhn umzusetzen. Man musste aber nicht, wenn man nicht wollte. Diese Übung habe ich erst einmal ausgesetzt, da ich nicht vor den Augen aller meinen ersten Versuch starten wollte.

Danach ging es an die Arbeit mit dem Clicker, erst als Trockenübung und dann mit dem Huhn. Nach nur 2 sehr kurzen Einheiten hatten die Hühner verstanden, was der Click bedeutet, nämlich Futter.
Während dieser ersten beiden Einheiten habe dann auch ich mich getraut, das Huhn hochzunehmen und auf den Tisch zu setzen. Meine beiden Co-Trainerinnen sowie das ATC-Team haben mir hier helfend und ermutigend zur Seite gestanden.

Es folgte wieder Theorie. Allgemein wurde immer kurzweilig zwischen Theorie- und Praxiseinheiten gewechselt, so dass man nie zu lange herum saß und alles Erlernte gleich in der Anwendung sehen und spüren konnte. Auch Pausen sowie Snacks und Getränke gab es ausreichend.

Die Aufgabe des ersten Tages war es, dem Huhn beizubringen, einen Punkt anzupicken mit dem Schnabel.

Dadurch, dass die Hühner so schnell lernen, sieht man sehr rasch Erfolge, wenn man alles richtig macht. Das Timing muss stimmen, denn sonst sieht man auch gleich, was nicht klappt. Mein Huhn hat beispielsweise am Ende des Tages den Punkt mit einem Zentimeter Abstand angestarrt, statt sich ganz herunter zu beugen und ihn anzupicken. Mein Timing war ein klitzekleines bisschen zu langsam und so habe ich das Anschauen bestärkt statt die Bewegung des Herabbeugens einzufangen.

Die letzte Praxiseinheit habe ich ausfallen lassen, da mein Hühnchen erschöpft war und schon im Heu lag. Auch das war natürlich erlaubt und erwünscht. Es wurde viel wert darauf gelegt, Rücksicht aufeinander und auf seine tierische Partnerin zu nehmen.

Hühner

Nachdem auch an Tag 2 mein Selbsttest negativ war, ging es zum Frühstück und anschließend wieder ins ATC.

Schwierig an Tag 2 war, dass die Menschen, die ich mir am Vortag gemerkt hatte, an diesem Tag natürlich andere Kleidung trugen. Das ist immer verwirrend, denn ich erkenne Gesichter so gut wie gar nicht. Zum Glück saß jeder am gleichen Platz, so dass dies eine Hilfestellung für mich war.

Pünktlich um 9 begann das Seminar wieder mit Theorie und einer kurzen Wiederholung des Erlernten vom Vortag.

Trockenübungen mit dem Clicker durften natürlich wieder nicht fehlen. Auch gegenseitig geclickert haben wir uns und einmal am eigenen Leib erfahren, wie verwirrend es sein kann, wenn das Gegenüber einen falschen Click setzt.

Für die Praxiseinheiten gab’s diesmal eine individuelle Aufgabe. Aus einer Liste konnte sich jeder etwas aussuchen, was er seinem Huhn beibringen möchte. Es waren viele Dinge dabei, wie Farbunterscheidungen, ein Spielzeug ziehen, eine Glocke oder Trommel anpicken, einen Kegel umwerfen, sich um die eigene Achse drehen, etc.

Für mein Huhn habe ich die Glocke gewählt. Ziel war es, dass das Huhn die Glocke mit dem Schnabel anpickt und läutet.

Wie schon am Vortag für das Anpicken des Punktes, sollten wir auch für diese Aufgabe einen Trainingsplan schreiben. Da ich mich mit sowas noch schwer tue, war ich ganz froh darum, dass auch so etwas fleißig geübt wurde.

In der Mittagspause gab es nach dem Essen die Möglichkeit, an einer kleinen Führung durch das ATC teilzunehmen, die ich natürlich genutzt habe. Erstens war es schön, sich ein wenig die Beine zu vertreten und zweitens auch super spannend zu sehen, welche Tiere alles beim ATC leben – insgesamt nämlich zwischen 60 und 70 verschiedene Tiere, die fast alle aus schlechter Haltung stammen.

Frisch gestärkt ging es in den Nachmittag mit weiteren Theorie- und Praxiseinheiten. Ich hatte etwas Sorge, dass mein Huhn die Glocke wieder nur anschauen wird, aber tatsächlich begann es, an ihr zu läuten. Juhuuu! Auch die Hühner meiner beiden Co-Trainerinnen zeigten das gewünschte Verhalten (eine Trommel anpicken und einmal um die eigene Achse drehen).

An Tag 2 habe ich mich auch getraut, mehr zu fragen und zu sagen, nachdem ich an Tag 1 eher ruhig war im Gruppensetting.

Alles in allem war es ein sehr erfolgreicher und lehrreicher Kurs. Ich habe einiges gelernt, Wissen aufgefrischt und konnte viel Inspiration mitnehmen für das Training mit Murphy und Yoshi.

Theoretisch konnte man, wenn man wollte, sein Huhn gegen eine kleine Schutzgebühr mit nach Hause nehmen. Voraussetzung war eine artgerechte Haltung (Freiland mit Zugang zum Stall als Schutz) und natürlich, dass das Hühnchen nicht allein ist. Da ich leider keine Möglichkeit zur Hühnerhaltung habe, musste ich mich von meinem Huhn, welches ich Hilde getauft hatte, verabschieden. Ich bin mir aber sicher, dass sie einen schönen Platz bekommt.

Das Beste kam aber zum Schluss:

Die offizielle Zusage für’s Assistenzhundeprogramm! Das ganze Team hatte sich schon beraten und ich bin nun offiziell dabei! Beste. Nachricht. Ever.

Rückfahrt

Die Rückfahrt war wieder lang, zum Glück aber ohne Stau und auch die Temperaturen waren nicht ganz so hoch. Durch die anstrengenden vorausgegangenen Tage war ich sehr müde und auch die Schmerzen machten sich im Körper bemerkbar. Die kleinen Pausen zwischendurch waren dringend nötig und ich war froh, als wir Zuhause ankamen und bin sofort unter die Dusche gesprungen um dann auf’s Sofa zu fallen. Yoshi ist auch auf direktem Wege ins Bett gegangen und wollte nicht mehr vor die Tür.

Danach

Die Tage nach der Reise war ich richtig platt, habe viel geschlafen und mich erholt. Auch Yoshi war richtig müde. Es war ein lehrreiches Seminar, jedoch sehr anstrengend. Dissoziationen unterdrücken, Maskieren, Stims unterdrücken, Normal wirken, soziale Interaktion, Trigger aushalten, sich Ängsten stellen – alles Dinge, die richtig viel Energie kosten.

Gelohnt hat es sich aber auf jeden Fall. Ich habe sogar neue Kontakte geknüpft und freue mich schon auf den nächsten Besuch beim ATC!

Danke an das ganze ATC-Team für die beiden tollen Tage und das viele Verständnis. Ich habe mich richtig wohl gefühlt bei euch!


Links


Bisherige Beiträge zum Thema
Assistenzhund 2.0 – Die ersten Schritte

Hilf‘ mir, mein Ziel zu erreichen, indem du meine GoFundMe-Kampagne teilst und/oder durch eine Spende unterstützt! Vielen Dank!

GoFundMe – Assistenzhund für Sam
Assistenzhund Yoshi 2021


Die Links wurden nach sorgfältigen Erwägungen ausgewählt, auf Inhalt und Gestaltung der Webseiten habe ich jedoch keinerlei Einfluss. Hiermit distanziere ich mich ausdrücklich von den Seiten, sollten darin rechtswidrige, jugendgefährdende und/oder verfassungsfeindliche Inhalte veröffentlicht werden.