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Achtung! Triggerwarnung!

Essverhalten, Diäten, Gewicht, Essstörung, Körpergefühl, Bezug zum eigenen Körper, Nahrung, Lebensmittel & Sensorik, Essen unterwegs, Getränke


Der folgende Text kann triggern!

Essverhalten/“Essstörung ohne Namen“

Aktuell werde ich auf allen Medien und Kanälen bombardiert mit Werbung für verschiedene Diäten und Fitnessprogramme. Es ist Jahresanfang. Weit verbreiteter Vorsatz: Abnehmen.

Für mich ist das ein enormer Trigger.

Ich kann nicht „normal“ essen. Ich hasse das Wort „normal“, aber mir fällt kein besseres ein. Ich meine damit, dass ich nicht weiß, wie groß Portionen sein müssen, was und wie viel ich essen soll/kann/darf/muss und wann ich satt bin.

Essen triggert mich.

Seit ich denken kann, schlittere ich zwischen Binge- und Restriktionsphasen hin und her. Normales Essen gibt es nicht. Entweder esse ich wochenlang alles mögliche, viel zu viel, ohne Sättigungsgefühl und nehme zu oder ich esse wenig bis fast gar nichts mehr, zähle streng Kalorien, wiege mich täglich – teils mehrfach – und treibe oft exzessiv Sport.

Die erste Erinnerung an Restriktion habe ich vom frühen Teenageralter.

Ich habe mein Gewicht schon mehrfach zu- und wieder abgenommen. Zufrieden war ich nie damit. Immer zu fett. Fett. Fett. Ekelhaft. Überall nur Fett. Esse ich, fühle ich mich schlecht, schwach, als Versager und schäme mich; esse ich nicht, weiß ich zwar auf rationaler Ebene, dass es nicht gut ist, habe aber das Gefühl, die Kontrolle und „Erfolg“ zu haben.

Essen oder auch nicht essen dient schon seit ich denken kann als Methode der Regulation. Ich esse, wenn es mir schlecht geht, ich mich langweile oder überfordert bin. Ich esse nicht, um ein Gefühl der Kontrolle zu haben oder wieder zu bekommen.

Ich wurde aufgrund meines Gewichts bereits in der Schule fertig gemacht und auch von Verwandten bekam ich gesagt, ich sei eklig und nicht liebenswert.

Von verschiedenen Ernährungsformen über Diäten bis hin zu richtiger Restriktion, in dem ich beispielsweise nur eine Portion Reis (ohne Soße, ohne Beilagen) oder auch nur eine kleine Tasse Kakao am Tag zu mir genommen habe, habe ich schon ziemlich alles durch.

Dinge wie Ernährungstagebuch führen, Portionen abwiegen oder auf Kalorien/Fett/Kohlenhydrate/etc. achten, schlagen sofort in Restriktion um. Es beginnt harmlos, mit reiner Dokumentation, um nicht ohne jegliches Bewusstsein einfach nur zu essen und die Bingephasen zu überwachen und dann werden es täglich immer weniger Kalorien bis irgendwann kaum noch etwas übrig ist und mir selbst das viel zu viel vorkommt.

Oft ist diese Restriktionsphase gepaart mit exzessivem Sporttreiben. So bin ich mal eine Weile täglich morgens um 4 joggen gegangen und habe zusätzlich noch eine Stunde Yoga am Tag gemacht, habe mir nicht erlaubt, mich zu setzen oder still zu stehen.

Das geht dann eine Weile, ich esse kaum, wiege mich ständig und nehme ab bis wieder eine Binge-Phase folgt, in der ich unkontrolliert esse.

Zwanghafte Gedanken an sogenannte „Diätpillen“ schwirren in meinem Kopf herum. Manchmal suche ich auch im Internet nach solchen Mittelchen. Gekauft und genommen habe ich bisher zum Glück nie welche, denn ich habe Angst vor Medikamenten und tue mich schon mit denen schwer, die mir meine Ärzte verschreiben.

Wenn ich nicht esse, denke ich an Essen oder beschäftige ich mich mit Essen. Ich habe eine ganze Bataillon an Koch- und Backbüchern und auch welche über die verschiedenen Ernährungsweisen. Ich habe auch schon gebacken und gekocht, nur um dann selbst gar nichts davon zu essen und alles zu verschenken.

Essen ist wie eine Sucht. In Binge-Phasen bin ich manchmal zu den komischsten Uhrzeiten spontan losgefahren, um mir einen Berg Süßigkeiten zu holen und habe teilweise schon auf dem Heimweg angefangen, ihn sinnlos in mich hineinzustopfen. Wenn die Supermärkte nicht mehr geöffnet waren, ging es an die Tankstelle. Während der Pandemie habe ich mir auch Sachen online bestellt, nur um gleich nach Ankunft des Paketes den Großteil in kürzester Zeit in mich hineinzuschaffen. Und nein, wir reden hier nicht von einer Tafel Schokolade und ein paar Keksen für insgesamt 5 Euro. Wir reden hier von wirklich viel, teils bis zu 50 Euro im Wert.
Ich vergleiche das immer ein wenig mit einem Alkoholiker, der heimlich an die Tankstelle fährt, um sich Nachschub zu besorgen und seine Flaschen dann versteckt. So mache ich es mit dem Essen und den Verpackungen dazu.

Trigger

Trigger sind für mich unter anderem Dinge wie Ernährungstagebücher, Diätberichte, Ernährungstips, Menschen mit offensichtlichen Essstörungen, Restriktionen von anderen, Diät-Werbungen, Dokumentationen oder auch, wenn ich andere Menschen essen sehe (z.B. in Filmen). Kommentare zur eigenen Figur oder zum eigenen Essverhalten sind auch sehr schwierig. Dinge wie „Hast du abgenommen/zugenommen?“ oder „Oh, du hast aber abgenommen!“ triggern genau so stark wie Beurteilung meines Essens („Wieso isst du Y statt Z?“, „Findest du es nicht langweilig, immer nur X zu essen?“). Ich hasse es auch, in der Öffentlichkeit zu essen.


Als ich in der Klinik war, hatte ich eine Mitpatientin, die nur Kartoffeln und Gemüse aß. Keine Soße, keine Beilagen, kein Öl, keine Gewürze, nichts. Einfach nur pure Kartoffeln und pures Gemüse. Und auch nur wenig davon.
Ich hatte enormen Drang, es ihr nachzutun. Da das nicht ging, habe ich übermäßig gefressen. Gepaart mit einem neuen Medikament, welches ich damals bekommen hatte, habe ich mindestens 25 kg zugenommen und mich immer beschissener gefühlt.

In der Klinik wurden wir auch regelmäßig gewogen, Mit Schuhen, mit Kleidung, oft direkt nach dem Frühstück. Und von der Mitarbeiterin, die das Gewicht notierte, gab es hin und wieder Kommentare dazu. Ich hätte mich danach jedes Mal am liebsten einfach vergraben oder schlimmeres.


Lebensmittel & Sensorik

Manche Lebensmittel kann ich allein wegen der Sensorik nicht zu mir nehmen.

Ich mag beispielsweise Äpfel, ertrage aber keinen Apfelbrei/Apfelmus.

Es gibt auch Soßen, die ich nicht essen kann.

Generell schwierig sind Dinge, bei denen ich die einzelnen Zutaten nicht erkennen kann (z.B. verschiedene Salate, Suppen, etc.), weil sie so ineinander vermischt sind. Oder auch Gebäck, bei dem ich nicht weiß, was es genau ist und auf welchen Geschmack ich mich einstellen muss. Ich weiß gern, was auf mich zukommt, sowohl beim Geschmack, als auch der Konsistenz. Zudem trenne ich die einzelnen Sachen gern, esse also z.B. erst die Erbsen einzeln, danach die Kartoffeln, etc.

Ein weiteres No-Go sind Dinge, die Alkohol enthalten, Kokos, Schokofrüchte oder Bananenjoghurt mit Schokostückchen oder solche Soft-Cakes, bei denen im Inneren Orangengelee oder ähnliches ist.

Alles, was die Hände klebrig macht oder schleimig ist, ist auch fast unerträglich, womit Obst oft schwierig ist. Ich liebe den Geschmack von Obst, aber es fällt mir schwer, es zuzubereiten (z.B. zu schälen). Das Gleiche gilt für die Zubereitung von Teig für Gebäck.

Eine weiteres Sensorikproblem ist das Geschirr. Ich brauche für Jogurt oder Eisbecher einen Plastiklöffel statt einem Metalllöffel. Die Geräusche, die Geschirr macht, sind für mich auch unerträglich. Das Klappern von Besteck auf den Tellern oder auch beim Stapeln von Tellern macht mich wahnsinnig.

Was esse ich also?

Ich habe so einige „Stamm-Mahlzeiten“, die ich immer esse und mit denen ich mich sicher fühle.
Hier wird es erst wieder problematisch, wenn dann auf der Packung steht „Veränderte Rezeptur“ oder die Packung anders aussieht als sonst oder wenn der Hersteller wechselt.

Ansonsten muss das Gericht vegan (bevorzugt) oder vegetarisch sein. Ich achte streng darauf, auch beispielsweise bei Dingen wie Marmelade oder Süßigkeiten, da hier oft Gelantine oder ähnliches enthalten ist.

Generell kann man sagen, je simpler, desto eher die Chance, dass ich es essen kann. Bei Schokolade wäre das also die ganz einfache Milchschokolade, ohne großartige Zusätze und Experimente. Klar gibt’s da auch Ausnahmen, aber auf Nummer sicher geht man mit der einfachen Variante. Bei Gerichten ist es immer gut, wenn die Zutaten erkennbar und voneinander trennbar sind. Ich esse Dinge gern einzeln und getrennt voneinander, also beispielsweise erst die Erbsen, dann die Kartoffeln, usw. anstatt sie zu vermischen.
Auch bei Pizza fällt meine Wahl meistens auf die einfache Margherita, an „wilden“ Tagen mal auf eine mit Pilzen und bei Pasta oft auf die Standardvariante mit Tomantensoße.

Am sichersten fühle ich mich beim Italiener.

Es gibt Phasen, in denen ich mich auch hin und wieder einmal traue, etwas Unbekanntes auszuprobieren. In einer solchen Phase habe ich beispielsweise entdeckt, dass es auch beim Spanier oder Mexikaner gutes, vegetarisches Essen gibt.

Bei Gebäck kenne ich gern den Namen bzw. die Hauptzutaten, so dass ich vorher weiß, ob nun beispielsweise ein schokoladiger, ein nussiger oder ein vanilliger Geschmack auf mich zukommt.

Eine weitere Regel, die ich habe ist, dass ich nach etwas Deftigem unbedingt etwas Süßes zu mir nehmen muss.

Getränke

Generell trinke ich hauptsächlich stilles Wasser und Tee, selten mal einen (Eis-) Kaffee oder ein Glas Saft.

Alkohol trinke ich gar nicht.

Bei Tee bevorzuge ich Kräutertees, insbesondere die mit Husten- und Bronchialkräutern, Pfefferminz oder Fenchel.

Allerdings fällt es mir auch beim Trinken schwer, ein normales Maß zu finden.

In der einen Phase trinke ich sehr viel in sehr kurzer Zeit, z.B. 2 – 3 Liter in 2 Stunden. Tue ich das nicht, habe ich Angst, zu verdursten oder aufgrund von Flüssigkeitsmangel Kreislaufprobleme zu bekommen.

In der anderen Phase trinke ich fast gar nichts, also gefühlt ein Glas Wasser alle 2 Tage. Ich vergesse das Trinken dann oft einfach oder habe gar nicht das Gefühl, Flüssigkeit zu benötigen.

Gerne würde ich selbstgemachte Smoothies trinken, aber sie gehen leider sensorisch nicht.

Blick in den Spiegel

Schaue ich in den Spiegel, sehe ich nicht die Realität. Ganz unabhängig vom aktuellen Gewicht sehe ich grundsätzlich einen mindestens 300 kg schweren Menschen, der vor Fett nur so schwabbelt und in jeglicher Art Kleidung wie eine Presswurst aussieht. Das gilt auch für Fotos oder Videos auf bzw. in denen ich zu sehen bin.

Ich betreibe bei jeder Gelegenheit sogenanntes „Body-Checking“, also ein körperbezogenes Kontrollverhalten. Ich habe Rituale über die ich immer wieder den Körper überprüfe. Je nach Phase findet dies durch häufige Kontrollblicke in den Spiegel, durch Wiegen und Abmessen oder auch durch Vergleiche von verschiedenen Fotos oder mit anderen Menschen.

Essen unterwegs

Unterwegs bestehe ich wieder aus zwei Gegensätzen:

Einerseits habe ich Angst davor, Hunger zu bekommen und als Folge davon Kreislaufprobleme und/oder Übelkeit, andererseits finde ich die Nahrungsaufnahme in der Öffentlichkeit sehr stressig. Ich hasse es, wenn mir Menschen beim Essen zuschauen und sich vielleicht fragen, wieso ein dicker Mensch wie ich nun am Bahnhof sitzen und etwas vom Bäcker essen muss.

Zudem habe ich Angst, mich zu verschlucken und Husten zu müssen oder jemanden mit meinen Kaugeräuschen zu stören. Und auch die Angst vor Übelkeit ist wieder dabei. Vielleicht vertrage ich das Nahrungsmittel nicht? Vielleicht war es nicht mehr gut oder mit Bakterien oder Viren verseucht? Vielleicht bekomme ich nun eine Lebensmittelvergiftung oder einen Magen-Darm-Virus?

Bei Restaurants ist es generell am besten, wenn ich die Speisekarte vorher zuhause einsehen kann. Das nimmt sehr viel Stress, denn daheim kann ich unbekannte Dinge nachschlagen und mich in Ruhe entscheiden, was ich essen werde.

Fazit
Diesen Beitrag zu verfassen hat mich sehr viel Zeit und noch mehr Nerven gekostet und ich habe irgendwie auch Angst davor, ihn zu veröffentlichen. Er kommt mir sehr wirr vor und ich bin mir nicht sicher, ob er mich nicht einfach wie ein beklopptes, verfressenes Schwein wirken lässt, aber vielleicht bin ich ja gar nicht allein mit diesen Problemen rund ums Essen. Essen war schon immer ein heikles Thema und ich habe sehr viele Trigger rund um Ernährung und Sport. Mein Traum wäre es, ein gesundes Gewicht für meine Größe, also weder zu viel noch zu wenig, und eine einigermaßen ausgewogene und gesunde Ernährung zu haben, zumindest meistens.

Hilf‘ mir, mein Ziel zu erreichen, indem du meine GoFundMe-Kampagne teilst und/oder durch eine Spende unterstützt! Vielen Dank!

GoFundMe – Assistenzhund für Sam
Assistenzhund Yoshi 2021