Content Note:
Arbeit/Beruf, Geld, Gesundheit, Zukunft, Glücklich sein
Lange Zeit habe ich mich täglich auf die Arbeit gequält. Ich habe gut verdient, konnte mir einiges leisten: 2 Pferde, regelmäßigen Urlaub und Ausflüge, Geschenke für Familie, Freunde und mich selbst… und monatliches Sparen ging auch.
Ich bin gelernter chemisch-technischer Assistent, hatte einen 40 Stunden Job und bin brav jeden Tag auf die Arbeit gefahren. Alltag eben. Nichts Besonderes.
Gut ging es mir dabei nicht. Ich war nach der Arbeit zu erschöpft, um Hobbies und Freizeit zu genießen. Der Haushalt blieb liegen. Oft habe ich gerade so den Heimweg geschafft ohne in den Sekundenschlaf zu fallen. Auch an den Wochenenden war ich zu fertig, um irgendetwas zu machen.
Abends konnte ich nicht einschlafen, im Kopf Gedanken an den vergangenen sowie den kommenden Arbeitstag. Wenn ich dann noch weggenickt bin, dann befand ich mich im Traum auf der Arbeit.
Morgens schon erschöpft und voller Anspannung aufgewacht. Auf dem Weg zur Arbeit destruktive Gedanken an Verletzungen und gar Suizid. Gegen welchen Baum fahre ich am Besten?
Auch körperlich ging es mir nicht gut. Ständig Migräne. Eine Erkältung nach der Anderen. Rückenschmerzen. Nackenschmerzen. Schwindel. Bauchschmerzen. Übelkeit.
Lange habe ich dies ignoriert und ausgehalten. Andere schaffen es ja auch. Die arbeiten sogar noch mehr – Schichten zum Beispiel. Stell‘ dich nicht so an. Weichei. Nicht mal den Alltag packst du. Schau‘ dir deine Kollegen an, die sind viel belastbarer und besser. Du Nichtsnutz.
Irgendwann, als ich mal wieder auf der Fahrt zur Arbeit mit Suizidgedanken kämpfte, beschloss ich, dass es so nicht weitergehen kann. Festvertrag und nettes Gehalt hin oder her.
Ich bin zum Arzt gegangen, hab mir Hilfe gesucht. Dass ich krank bin, weiss ich ja schon seit meiner Teenager Zeit, aber ich konnte schon immer gut verdrängen. Aber jetzt zum Arzt. Dort gesessen. Super nervös. Der Ärztin einen vorgestottert, was los ist. Sie war zum Glück sehr verständnisvoll. Schrieb mich krank. Gab mir Adressen und Informationen.
Ich landete in der Tagesklinik. 2 Monate lang. Seitdem bin ich in ambulanter Behandlung bei meiner Psychotherapeutin sowie bei einer Psychiaterin.
Ich bin seit August 2016 krankgeschrieben. Fast 2 Jahre sind das jetzt. Ich habe lange gebraucht, bis es mir etwas besser ging. Bis ich nicht mehr von der Arbeit geträumt habe. 4 Monate waren es sicherlich. Eventuell sogar mehr. Und es dauerte noch länger, bis ich über die Zukunft nachdenken konnte, ohne in völlige Überforderung und Panik zu verfallen. Fast 1.5 Jahre vergingen, bis dies möglich war.
Ich bin seit Januar 2018 ausgesteuert, bekomme keine Krankengeld mehr. Zur Zeit erhalte ich Arbeitslosengeld. Die Erwebsminderungsrente ist beantragt. Ich habe nicht viel Geld. Es reicht kaum zum Leben. Aber es geht mir besser damit.
Klar bin ich nicht gesund, aber ich fühle mich besser. Die destruktiven Gedanken sind fast vollkommen verschwunden. Ich kann in die Zukunft blicken ohne panisch zu werden. Ich habe gelernt zu akzeptieren, dass ich eben nicht so belastbar bin wie Andere und dass es wichtig ist, auf meinen Körper und Geist zu hören. Pause zu machen, wenn eine Pause benötigt wird. Positive Aktivitäten in den Tag einzubauen. Zeit mit Freunden zu verbringen. Auf mich Acht zu geben.
Ich bin nicht für einen Vollzeitjob geeignet. Ist nunmal so. Akzeptiere ich mittlerweile. Kann ich mit leben. Macht mich das zu einem schlechten Menschen? Bin ich deshalb weniger wert? Nein. Ich bin okay genau so wie ich bin.
Ich kümmere mich derzeit 3x pro Woche um die Pferde einer Bekannten. Dies verleiht meiner Woche Routine (zusätzlich zum Training meines Assistenzhundes). Es ist nicht viel, dauert maximal 1.5 Stunden am Tag, aber es macht mir Spass. Ich füttere die Tiere, säubere den Paddock, bringe sie raus, beschäftige sie. Es ist oft körperlich anstrengend und manchmal habe ich morgens keine Lust, aufzustehen. Aber sobald ich die Fellnasen sehe, bin ich glücklich und freue mich über ihre Begrüßung.
Zusammenfassend kann ich für mich sagen, dass ich jetzt zwar wesentlich ärmer bin als je zuvor, aber auch glücklicher. Es geht mir den Umständen entsprechend gut.
Ich habe es sogar geschafft, mein Fernstudium (Fotodesign) fertig zu machen. Ob ich damit irgendwann Geld dazu verdiene? Wer weiss. Ausgeschlossen ist es nicht. Vielleicht mit einer Kombi aus Fotografie/Fotodesign und Pferdepflege? Einen gewissen Betrag darf man ja zur Rente hinzuverdienen, vielleicht werde ich es so machen.
Auf jeden Fall werde ich nur so viel tun, wie es mir gut tut. Sobald ich merke, ich kann nicht mehr, wird es eine Auszeit und Ausgleich geben. Ich werde mich nicht mehr zwingen, so gut/toll/belastbar zu sein, wie Andere es scheinbar sind. Ich bin ich. Und auch ich habe ein Recht darauf, mein Leben zu genießen.
Juni 20, 2018 at 8:56 pm
Ich drücke Dir die Daumen, dass es mit der Rente klappt. Aber ich denke, Du bist noch recht jung und viel Rente wird es da sicher nicht geben, wünsche Dir dass es reicht. LG
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Juni 21, 2018 at 1:28 am
Danke 🙂 Ich weiss ungefaehr, was ich bekommen werde. Nicht viel, aber ich bin lieber arm und dafuer glücklich. Wenn ich umgezogen bin in eine günstigere Wohnung müsste es eigentlich gehen mit dem erlaubten Hinzuverdienst und evtl Wohngeld oder sowas 🙂
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Juni 21, 2018 at 8:42 am
Im Grunde würde ich auch gerne einen Rentenantrag stellen. Diagnostiziert habe ich seit 8 Jahren die Depression und Angststörung, durch Aufarbeitung weiß ich, dass ich seit 2002 an Depression leide, die Ängste kamen dann später hinzu. Momentan habe ich wieder große Probleme dadurch im Job und auch privat. Ich werde dieses Jahr 55 und die Befristung des Jobs läuft Ende September aus. Einen anderen Job zu finden wird schwer werden und ob ich in dem dann leistungsfähig wäre, steht dann ja auch nicht fest. Und selbst wenn ich den Antrag stelle, ist ja nicht sicher dass er durchgeht. Würden mir Arme und Beine fehlen, wäre das wohl sicherer. LG
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Juni 21, 2018 at 8:52 am
Da sagst du was. Ich habe meinen Antrag im November 2017 gestellt und bisher auch noch kein Ergebnis. Formulare über Formulare. Gutachter. Alles drum und dran. (Schwerbehindertenausweis übrigens das Gleiche….)
Mir hat der VdK geholfen beim Antrag, da ich eben auch nicht sicher war, wie das abläuft und ob sich der Aufwand lohnt, etc. Aber da ich zur Zeit definitiv nicht arbeitsfähig bin, was auch vom ärztlichen Dienst der Arbeitsagentur bestätigt wurde, war das die Möglichkeit der Wahl. Dort helfen sie auch beim Ausfüllen des Antrags und eventuellen Widersprüchen.
Meistens wird die Rente, zumindest bei jüngeren Personen, erst einmal befristet genehmigt. Nach Ablauf (oder kurz vorher?) der Frist wird erneut geschaut, ob sich an der Lage etwas geändert hat. Man darf auf jeden Fall einen gewissen jährlichen Betrag ohne Abzüge hinzuverdienen. Verdient man mehr, wird einfach die Rente entsprechend gekürzt. Verdient man dann wieder weniger, geht es zurück auf den Anfangssatz. Es ist also quasi ein Sicherheitsnetz – wenn man merkt, es geht nicht mehr. Wenn es mir gut geht, werde ich nebenbei arbeiten und wenn ich merke, ich brauche eine Auszeit, dann kann ich mir die nehmen ohne komplett ohne Geld dazustehen. Klar ist man nicht reich und muss jeden Euro dreimal umdrehen, aber mir ist das echt lieber, als ständig suizidgefährdet zu sein und überhaupt nichts mehr auf die Reihe zu bekommen.
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Juni 21, 2018 at 9:45 am
Ich kenne das Vorgehen der Rentenversicherung schon von einem Reha Antrag den ich 2013 gestellt hatte und der zunächst abgelehnt wurde. Nach viel Papierkrieg und einem Besuch bei einer Gutachterin wurde er dann genehmigt. Obwohl ich auch im VDK bin, habe ich das damals alleine bewältigen können. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass damals ein System zum Tragen kam, dass mich zermürben sollte, sodass ich es aufgebe und die RV Geld spart.
Die damals von meinen Ärzten auszufüllenden Unterlagen kamen stückweise. Zunächst sollte meine Hausärztin Stellung nehmen, vier Wochen später das gleiche Formular für meinen Psychiater. Dann nach einiger Zeit müsste ich zu dieser Gutachterin, die sich ihre Praxis mit einem Gynäkologen teilte. Ich war der einzige Mann im Wartezimmer und ich musste warten und starrte nur vor mich auf den Boden. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie mich alle anderen (es waren ja nur Frauen anwesend) wieder und wieder ansahen. Ich wäre am liebsten weggelaufen, was ja der RV dann endgültig erspart hätte. Die Gutachterin war dann aber einsichtig und verhalten freundlich. Sie sagte, sie würde eine Reha befürworten, dass letzte Wort hätte aber die RV. Nach weiteren vier Wochen wurde sie dann genehmigt.
Ich glaube, bei einem Rentenantrag würde es mir die RV nicht leichter machen. Ich weiß auch nicht ob mein Psychiater das befürworten würde. Ich muss heute wieder hin und hoffe, dass er mich erstmal weiter krank schreibt und mir vielleicht noch mal eine Einweisung für die Klinik gibt. Wenn mein Job Ende September endet, glaube ich ohnehin nicht, dass der Vertrag verlängert wird. Ich kann auch keine 45 Stunden mehr in der Woche arbeiten. Als ich damals aus der Klinik kam sollte ich ja ambulant weiter in Therapie, fing aber den Job an und arbeitete anfangs 49 Stunden die Woche – damit ich schnell rein komme in die Materie. Wo sollte ich da Zeit für eine Therapie unterbringen, zumal müsste ich erstmal einen Therapeuten finden der mich entweder morgens um halb sechs oder abends nach 19 Uhr empfängt. Den einzigen Arzt den ich kenne, der einmal die Woche bis 20 Uhr arbeitet, ist meine Zahnärztin. Aber wenn ich so einen späten Termin will muss ich manchmal 8 Wochen warten. Ich würde gerne erwerbstätig Arbeiten, aber eben halbtags, damit ich auch Zeit habe therapeutisch an mir und meine Gesundung zu arbeiten. Nur empfinde ich es illusorisch, dass hinzubekommen. Rente wäre zumindest für letzteres eine Hilfe.
Wie gesagt, ich drück Dir echt die Daumen, dass es bei dir klappt. LG
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Juni 21, 2018 at 9:56 am
Das, was du da beschreibst, habe ich so auch bei vielen meiner Mitpatienten in der Klinik mitbekommen. Die meisten haben solche Geschichten zu erzählen gehabt, wie schwer es ihnen gemacht wurde, eine Reha zu bekommen. Grundsätzlich wird wohl in den meisten Fällen erstmal abgelehnt, in der Hoffnung, dass der Antragsteller dann aufgibt. Unfassbar eigentlich.
Ich hoffe auch, dass ich soweit gesunde, dass ich zumindest Teilzeit arbeiten kann und die Rente als Sicherheitsnetz habe. Schauen wir mal. Erstmal abwarten. Hatte im Februar den Termin beim Gutachter, seitdem noch 3-4x Post bekommen von der RV – jedesmal mit weiteren Formularen zum Ausfüllen. Abwarten und Tee trinken.
Ich war froh, dass der Rentenmensch vom VdK geholfen hat, bin mit sowas recht schnell ziemlich überfordert und werde dann panisch.
Ich danke dir auf jeden Fall! 🙂
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